Liebe @Joy Aselmann, ich hätte die Karikatur nicht ins Blatt genommen. Weil sie mir einfach nicht gut genug gefällt, so sehr mir Netanjahu missfällt.
Aber je mehr ich jemandem feindlich mit meinen Ansichten scheine, desto mehr kommt es darauf an, dem Feind - wenn schon nicht argumentativ, dann wenigstens menschlich sympathisch zu sein zu können, denn erfahrungsgemäß werden mir Gemeinheiten eher von Freunde als von Feinden verziehen.
Das machen aber viele Leute falsch. Ich seltener, weil drauf bedacht. In der Politik wird es von vielen permanent falsch gemacht, um der eigenen Horde zu imponieren.
Die Karikatur missfällt mir, aber antisemitisch ist sie mir nicht, auch wenn ich oft und schnell solchen Verdacht habe und es nicht ausschließen kann, aber bis zum Erweis hat das InDubioProReo-Prinzip heilig zu sein. Mit aller Konsequenz, was den Umgang anbelangt.
Ich halte es für Verirrung, wie die genannten Experten argumentieren - und nicht mehr unterscheiden zwischen Verdächtigung und Interpretation/Urteil.
Antisemitismus ist auch mein Thema. Genau deshalb lasse ich mich fürchterlich gerne belehren, denn nichts ist langweiliger als eine Geisteswelt ohne aufregende Thesen, aber dennoch erlernt sich dadurch auch, dass Fakultäten, Experten zu Selbstüberschätzung neigen, zur Extremen und Sonderlichkeit, um der eigenen Daseinsberechtigung Betonung zu geben.
So auch in diesem Fall:
Da wird der Davidstern als Problem gesehen. Ja, der Davidstern ist ein Problem - und erst recht ein Problem in deutscher Karikatur, sobald sie Negatives zu Juden oder Israel aussagt.
Und der Grund ist doch klar, weil hierzulande mit Shoa gipfelte, was an Judenhass und Judenverfolgung so lange Geschichte hatte und trotz Auschwitz heute sogar globalisiertes Problem ist.
Gleichwohl ist Netanjahu zu beanstanden, denn ich halte ihn immerhin für einen völkerechtsbrecherischen Nationalisten, israelischen Rechtsextremisten, den es zu stoppen gilt, ehe für den gesollten Palästinenerstaat nichts mehr gibt.
Wie also die Beanstandung in eine Karikatur umsetzen? Der Ministerpräsident Israels ohne Davidstern in der Karikatur?
Der Davidstern gehört immerhin zu Israel wie Hammer&Sichel zur Sowjetunion gehörte und der Bundesadler zu Deutschland.
Also darf das sein. Muss es sogar. Theoretisch. - Und es löst bei mir immer Unbehagen aus, auch in ausländischen Karikaturen - aus besagten Gründen.
Und dieses Unbehagen dürfte allen Gewissenhaften und erst recht Juden gemeinsam sein, allenfalls harmloser wahrgenommen, wenn aus israelischer oder jüdischer Quelle.
Die Konsequenz daraus könnte für Deutschland durchaus sein, kritische, negative Karikaturen mit Bezug auf Juden und Israel gänzlich zu verbieten. Als Schere im Kopf gibt es das schon, in Verlagsstatuten, in Köpfen von Karikaturisten und Autoren.
Die Schere im Kopf - teils ist man stolz darauf - und gar nicht in Gänze verkehrt, denn die Dimension der deutschen Verbrechen an Juden gibt es her, besondere Rücksichtnahmen einzufordern.
Aber mehr als den moralischen Appell lehne ich ab, denn für gesetzliche Standards muss das Gleichheitsprinzip gewahrt bleiben. Keine Diskriminierung, keine Privilegierung.
So ist ja auch bislang die Rechtslage. Und das berechtigte Unbehagen bleibt. Dadurch womöglich die Versuchung, aus Fällen wie dieser Karikatur einen Kriminalfall zu machen oder zumindest den öffentlichen Pranger mit Rufmordfolge.
Nun, ich bin kein Karikaturist, kann mir aber vorstellen, dass wenn ich einer wäre, dann eben auch Netanjahu meinen Pranger zu veranstalten, denn ich nehme mir dieses Recht in Debatten oft genug heraus und kann schon deshalb nicht anderen Ausdrucksformern (Musikern usw.) Verzicht anmahnen.
Deshalb befürworte ich gute Karikaturen gegen seine Politik, auch mit Davidstern , aber es bleibt ein schwieriges Unterfangen.