Der innerstädtische Flughafen Berlin Tegel (TXL) ist Produkt und Relikt der politischen und verkehrsplanerischen Verhältnisse der 60er Jahre, denn die Errichtung eines Flughafens mitten im urbanen Raum wäre ohne die Abschottung West-Berlins im Zeitalter der Düsenflugzeuge nicht mehr denkbar gewesen. Mit seiner engen, schleifenartigen Anbindung an die Adern der Stadtautobahn bei gleichzeitigem Verzicht auf eine Schienenanbindung steht Tegel zudem im engen Kontext zum verkehrsplanerischen Optimismus seiner Zeit, dem der motorisierte Individualverkehr noch unbegrenzte Verheißung war: Die geschwungenen Zubringer durchlaufen das leitmotivische Hexagon des Flughafens wie die Adern des Kreislaufsystems die Lunge. Kürzeste Wege führten einst vom Taxi übers Gate in den Flieger und aus dem eingemauerten, geschlossenen Körper Berlin hinaus in die freie Luft der Welt.
Diese im Zeitkontext überaus gelungene Gestaltung in ihrer anspruchsvollen, klassisch-modernen architektonischen Form hat mittlerweile eine Reihe von Krisen durchlaufen. Schon bei seiner Eröffnung erlebte das konzeptionell angelegte freie Flottieren und Strömen der Individuen im Raum einen Dämpfer: Die seit Ende der 60er Jahre sprunghaft angestiegene Bedrohung durch terroristische Luftpiraterie erforderte eine Sicherheitsinfrastruktur, für die im Membran-Konzept Tegels kaum Platz vorhanden war. In der Gegenwart sieht sich die einst clever geplante Struktur des Flughafens als Schnittstelle von Nähe und Ferne angesichts der reinen Quantität des Fluggastverkehrs gänzlich ins Gegenteil verkehrt: Ergänzungsterminals mit Wellblechhütten-Charakter dienen nur noch der schieren Bewältigung der Massenabfertigung. Vom mondänen Flair des Fliegens ist in Zeiten seiner Ausweitung zum billigen Massenkonsumgut keine Spur zurückgeblieben. Wegstrecken, Wartezeiten, Gedränge, Geschiebe und klaustrophobische Zustände sind weithin akzeptiert. Da braucht es dann auch keine Architektur mehr.
Als Kehrseite des BER-Desasters ist Tegel mittlerweile zum Stress-Hotspot mutiert. Eine seit Jahren fortschreitende Konzentration des Flugverkehrs hat den Effekt, dass eine flächendeckende Fluglärmschneise durch den gesamten Norden Berlins gezogen wird - an mindestens 119 Stunden pro Woche. Hinzu kommen weitreichende Sicherheits- und Umweltrisiken, die durch die wahnwitzig enge Taktung der Flugbewegungen stetig gestiegen sein dürften. Möglich ist der permanente und fortgesetzte Verstoß gegen das 2007 verschärfte Imissionsschutzgesetz nur, weil ein zehnjähriges Moratorium für bestehende Flughafenanlagen ("Lex Tegel") geschaffen wurde, das - je nach Interpretation - zwischen 2017 und 2019 ausläuft. Danach wird es teuer, weil tausende Wohnungen auf einen zeitgemäßen Lärmschutzstandard gebracht werden müssen.
TXL und BER in ihren desaströsen Entwicklungen sind letztlich komplementäre Phänomene, die auf je eigene Art und Weise von der Kapitulation gestalterischer Möglichkeiten vor Wachstumskurven handeln, die als Naturgewalten erscheinen bzw. als solche behandelt werden.