#1

Trümmerfrauen

in Antifaschismus.de 25.04.2017 16:19
von Markus Rabanus • 10.094 Beiträge

Kaum etwas in der Nachkriegsgeschichte ist derart von Mythen umrankt wie die "Trümmerfrauen".

So auch jetzt mittels Posting einer Facebook-Freundin, die ich mit meinem Einspruch vermutlich nicht glücklich mache:

Hmm, die Frauen, die den Schutt unserer zerbombten Häuser in Dortmund und Kiel mit Händen und Eimern abräumen mussten, weil es zwar nicht an zerstörten Panzern, aber an Räumfahrzeugen fehlte, wären zu gerne davon gerannt. - Und hier in Berlin war es nicht anders.
Ich fragte viele, viele alte Frauen, wie es um die Freiwilligkeit und Versorgung stand, denn es gab seitens der Siegermächte nicht bloß Appelle, sondern rigorose Wiederaufbau-Anweisungen.

Interesse am Thema? www.dialoglexikon.de/truemmerfrauen.htm


zuletzt bearbeitet 26.04.2017 02:23 | nach oben springen

#2

RE: Trümmerfrauen

in Antifaschismus.de 25.04.2017 16:41
von Markus Rabanus • 10.094 Beiträge

@Birgit, auch in den Köpfen und sogar bis heute, dass sich viele Frauen ein Prinzesschen-Dasein erhoffen.

Ich stelle oft genaue Fragen, wie etwas war oder ist, wobei es mir im direkten Umgang mit Menschen leichter fällt als es im Bericht darüber oft Verdruss schafft.
Und die Eigenständigkeit Trümmerfrauen damals war eben keine, sondern allenfalls Leid des wirtschaftlichen Zusammenbruchs der Gesellschaft, dass Frauen, Männer, Kinder wie wilde Tiere den Hunger zu stillen hatten, was viele nicht schafften, wenn sie krank oder alt waren. Und viele im Stich gelassen von "Trümmerfrauen" und den rückkehrenden "Helden". Mal danach die eigenen Eltern, Großeltern gefragt? Wie es Menschen ohne Familie und Hilfe erging?

Keine "Eigenständigkeit", die auch nur irgendwie zu überhöhen wäre, sondern humanitäre Katastrophe.
Und vor der Kapitulation? Dass Frauen in die Rüstungsindustrie geholt wurden? Das war schon während des 1. Weltkriegs so.

Die bittere Wahrheit also: Frauen als "Reserve". Nichts davon sollte man/frau HEUTE romantisieren, Denn das kann es nicht sein, was Frauen sich wünschen können, jedenfalls aus meiner Männekenperspektive, weshalb durchaus sein kann, dass sich Frauen mitunter auch anderes wünschen. LG


zuletzt bearbeitet 25.04.2017 16:42 | nach oben springen

#3

RE: Trümmerfrauen

in Antifaschismus.de 25.04.2017 16:43
von Markus Rabanus • 10.094 Beiträge

Und ich weiß noch, wie unwohl mir war, meine Eltern zu fragen, weil es ja auch schmerzt, über solche Sachen zu sprechen, dass sich jeder selbst der Nächste sein musste.


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#4

RE: Trümmerfrauen

in Antifaschismus.de 30.12.2019 01:56
von Markus Rabanus • 10.094 Beiträge

Lieber Matthias, es taugt überhaupt nicht als "Beispielbild", weil von A bis Z erlogen, denn die zerstörten Mietshäuser in Kiel und Dortmund MEINER Familie, wenn Wiederaufbau erlaubt wurde, dann waren nur wenige Stunden "Trümmerfrauen" beteiligt, die durch Besatzungsmächte verpflichtet und mit Lebensmitteln verpflegt wurden.

Alles Große wurde mit Technik gemacht und der Aufbau durch freigelassene Handwerker und kräftige Hilfsarbeiter.

Und schlimmer, denn die meisten "Trümmerfrauen-Fotos" wurden ohnehin nicht nach dem Kriege, sondern nach Bombenangriffen gemacht, während in Wahrheit massenhaft Zwangsarbeiter eingesetzt wurden, die hungerten, wenn man ihnen nichts zuwarf, was geduldet wurde, wenn man Glück hatte.

Die "Trümmerfrauen" sind eine widerlichsten Legenden, die man uns in den Schulen bis in die frühen Siebziger hinein lehrte. Und wenn ich mit dem Realen unserer Besitzungen widersprach, dann gab es noch Lehrer, die mich einen "Vaterlandsverräter" schimpften und die Ecke stellten.

Es muss Schluss mit den Legenden sein. Und du musst überall widersprechen, wo sie die begegnen. Es gibt keine Ehre ohne Ehrlichkeit.


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#5

RE: Trümmerfrauen

in Antifaschismus.de 30.12.2019 02:44
von Markus Rabanus • 10.094 Beiträge

Hey, nicht aufgepasst?
Wenn es um EinZweiFam-Häuser ging, dann hat es freiwillige Nachbarschaftshilfe gegeben, aber beim Schuttbeseitigen und Wiederaufbau in den Städten war nichts freiwillig. - Und vor Kriegsende war es SKLAVENARBEIT vor allem polnischer und russischer Kriegsgefangener.

Dass "Frauen mit anpackten", stelle ich gar nicht in Abrede, denn die Männer an der Front, dann war die "arische Frau" in den Waffenfabriken "verlässlicher" als die Zwangsarbeiter, wie auch in den KZ's "Frauen kräftig mit anpackten".

Das war Deutschland. Und viele hatten zu büßen dafür, dass zu viele den Nazis nachgerannt waren. - Ja, das war Deutschland.

Und Wiederaufbau? Das musste man auch in Warschau, Rotterdam, London, Kiew, Wolgograd und überall, wohin Deutsche glaubten, ungestraft hinballern zu dürfen.

Die dürfen sich "feiern", denn sie haben keinen Hitler gewählt und den Krieg nicht begonnen.

Tröstliches:
Jeder darf seine Oma lieben und ehren. Selbst dann, wenn sie Mörderin wäre. Das ist Menschenrecht. - Aber keine Legendenbildung.


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zuletzt bearbeitet 30.12.2019 02:46 | nach oben springen

#6

RE: Trümmerfrauen

in Antifaschismus.de 31.12.2019 06:37
von Markus Rabanus • 10.094 Beiträge

Da können wir genauer sein:
"Eigene Hände" waren es erst nach 45 und zwar auf Anordnung und mit Hilfe der Siegermächte.

Während des Krieges drehte die Wochenschau Progandafilmchen mit fröhlich aufräumenden Hitlerjungen, aber in Wahrheit erfreute sich die selbsternannte Herrenrasse, massenhaft Zwangsarbeiter im Schuttbeseitigen und Aufbau verschleißen zu können.


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#7

RE: Trümmerfrauen

in Antifaschismus.de 31.12.2019 16:50
von Markus Rabanus • 10.094 Beiträge

Vor Kriegsende wurden massenweise Zwangsarbeiter für Aufräumarbeiten und Wiederaufbau geschunden.

Nach dem Krieg wurden die Arbeiten von den Siegermächten angeordnet und unterstützt, mit Lebensmittelmarken bezahlt.

So jedenfalls mit den Mietshausruinen meiner Familie im zerstörten Kiel und Dortmund.

Bei EinZweiFamHäusern mag es anders gewesen sein und Nachbarschaftshilfe, aber die Fotos mit fröhlich anpackenden "Trümmerfrauen" waren Propaganda und wirken bis heute.


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#8

RE: Trümmerfrauen

in Antifaschismus.de 30.04.2021 13:33
von Markus Rabanus • 10.094 Beiträge

@Dirk F., der Artikel geht zwar kritisch mit dem Titel-Spruch um, aber das macht den Titel so wenig wett, wie einst die Plakataktion der Holocaustmahnmal-Aktivisten "Es hat den Holocaust nie gegeben".

Das Springer-Verlagshaus steht in Gold mitten Berlins und hatte immer genug Geld für qualifiziertes Forschen und Interviews.
Und dafür war es auch in der wiedervereinigten Stadt 1989/1990 noch lange nicht zu spät - und ist es auch heute nicht, während ich es immer wissen wollte, von früher Jugend an die "schlimmsten Fragen" stellte.

Seit 1979 in Berlin, zunächst Charlottenburg, seit 1987 mit eigenen Mietshaus im Wedding und ab 1991 mit vielen Häusern in fast allen Innenstadtbezirken Berlins durch Rückübertragung an Familien, die vor den Nazis nach Frankreich und in die USA geflüchtet waren.

Ich interviewte viele Frauen, die den Einmarsch der Roten Armee erlebt hatten und erleichtert waren, dass sich wenigstens für sie die NS-Propaganda von plündernden und vergewaltigenden Russenhorden nicht bewahrheitete, denen sie weiße Tücher über die Fensterbrüstungen hängten, sobald sie hofften, durch solche Zeichen nicht noch zwischen die Fronten zu geraten.

Im Gegenteil war allgemeine Erleichterung, als endlich "die Waffen schwiegen" und je mehr Rotarmisten in der zerstörten Stadt Posten bezogen und Ordnung einkehrte, wie immer wieder mit Lautsprechern die Bevölkerung beschallt wurde, was alles verboten sei und bestraft werde, aber auch Hoffnung machte, Verpflegung und Wiederaufbau bis hin zur Blüte versprach, woran gewiss zu zweifeln war.

Dass es viele Plünderungen und Vergewaltigungen gab, waren sich alle Interviewten sicher, aber keine meiner Mieterinnen kannte persönlich vergewaltigte Frauen oder wusste von Geburten daraus.

Die persönlichen Erinnerungen bezogen sich auf (fachlich gesprochen) die Wohnraumbewirtschaftung, die Nahrungsmittelversorgung - und Sorge um die vielen Männer an versprengten Fronten und vielleicht noch lebend in Verstecken oder schon Kriegsgefangenschaft.

Meine Nachfragen betreffs Uniformen und allem, was an Hitlerei an den Wäsche, Wänden und im Bücherregal war, wurden eher so beantwortet, dass wer so etwas hatte, es rechtzeitig ins Feuer gab, denn man sei sich in den Häusern schon länger bewusst gewesen, dass es keinen "Endsieg" mehr geben könne, für den noch die eigenen Kinder gegen Panzer ziehen sollten.

Sobald die Waffen schwiegen, mussten zuerst die Leichen weg. So erinnerten sich mehrerer Mieterinnen, dass sie Leichen sammeln und zu einem Massengrab bringen sollten, wie es sich auf/unter dem Arnimplatz in Berlin-Prenzlauer Berg finden müsste, aber es sei dann gestoppt worden, weil die Frauen in Heulkrämpfe und Ohnmacht fielen.

Auch dort hatte ich mehrere Häuser in Verwaltung, eines direkt am Platz, zwei weitere keine 50 Meter entfernt, mehr als 130 Wohnungen, viele Alte.
Aus allgemein zugänglichen Quellen ließen sich die Mieter-Berichte nicht bestätigen und denkbar, dass die gesamte Aktion abgeblasen wurde. Und ich hatte freilich auch anderes zu tun, so sehr mir dran liegt, mit alten Menschen Erlittenes zu besprechen, Geschichte und Verklärungen von Zeitzeugen.

Dann noch die Erinnerungen an Aufräumarbeiten, zu denen befehlsweise und gegen Lebensmittelkarten herangezogen wurde, woraus besonders die Springer-Presse bis heute den Mythos selbstloser "Trümmerfrauen" bastelte.

Oft verschwiegen, dass solche Einsätze auch im Krieg nach Bombenangriffen erforderlich waren, dann jedoch nicht als "Trümmerfrauen", sondern als Teil der propagandistisch gerühmten "Heimatfront", aber das nur in unmittelbarer Ansprache vor Ort, denn für die NS-Medien gab es keine Ruinen, sondern "großartige Flak" - und das Fotografieren der Trümmerlandschaften war verboten.

Aus alledem sind Mythen. Und vieles wird sich nicht mehr klären lassen, weil zu lange verschwiegen, vertrödelt, so dass nur vage an Gedächtnis bleibt, dass "bittere Zeiten" waren.

Von "Die Russen" zu reden, hat einfach zu miese Tradition, dann noch durch den "Kalten Krieg" gepflegt - und kommt nun wieder in Mode. Das ist nicht gut. Und auch nicht richtig.

Meine Familie nahm ein Kind auf, das von Heim zu Heim verschoben aus dem Seitensprung einer Verheirateten mit einem US-Soldaten stammte und die "falsche" Hautfarbe in unserer nationalistischen und rassistischen Gesellschaft hatte.

Wir machten daraus nie "die Amerikaner", zumal uns bewusst war, dass "Seitensprünge" auch oft zu "Vergewaltigungen" verkehrt wurden, um als Opfer bedauert zu werden und nicht als "Besatzerhure" verachtet, - Und das zeugt davon, wie Deutsche mit Deutschen umgingen.
Im Nachkriegsdeutschland blieb noch vieles lebendig, was in den 12 langen Jahren an Lügen und Anmaßung war.

Das Leiden der Frauen darf nicht klein geredet werden, denn Krieg ist immer auch Bruch mit allen Regeln des Anstands.

Aber nicht alle Soldaten sind Mörder, Räuber und Vergewaltiger, sondern recht wahrscheinlich in großer Überzahl in Kriege verhetzt und befohlen, in denen sie eher ihr Leben verlieren als irgendetwas gewinnen zu können - und froh sind, wenn überstanden.

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BEZUG >> https://www.welt.de/geschichte/zweiter-w...r-Freiwild.html


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zuletzt bearbeitet 30.04.2021 14:29 | nach oben springen


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