#1

Fortschrittsfeindlich und Fortschrittsnaivität als korrespondierende Röhren

in Sonstiges 01.05.2017 05:04
von Markus Rabanus • 10.092 Beiträge

"Irrationale Wissenschafts- und Technikfeindlichkeit ist heute weit verbreitet und gehört in der so genannten alternativen Szene zur Selbstverständlichkeit. Das ist ein allgemeines gesellschaftliches Problem in unseren Breiten. Da können wir als politische Weltbürger nicht viel dagegen tun, aber dennoch Stellung beziehen. Kannst dicht machen."

Hmm, sowat als letztes Posting ist tatsächlich "Senf" ;-)

Zwar dürfen auch "Weltbürger" (fast) alles sagen, aber weit weniger als "für Weltbürger sprechen" ;-)

@Richard, ich komme aus der Wissenschaft, war auch politisch jahrelang für Berufungen und Forschung mitzuständig im Amt des Akademischen Senats der FU-Berlin. Wenn irgendetwas im Kontext von Wissenschaft und Forschung Käse ist, dann ist das Fortschrittsfeindlichkeit mit Kehrseite Fortschrittsnaivität.

Ob 3 oder 350 Nobelpreisträger etwas unterschreiben, besagt, was 3 oder 350 Nobelpreisträger für richtig erachten - und falsch wäre, ihnen zu widersprechen, zumal meist das Wissen fehlt.
Aber einen Konflikt zwischen Greenpeace und den Appellunterzeichnern zu verallgemeinern, das geht nicht gut, denn Greenpeace hat eigene wissenschaftliche Kompetenz und das sind keineswegs akademisch gescheiterte Existenzen. Wenngleich Umweltschutzorganisationen ganz ähnlich selbstsüchtige Tendenzen aufweisen, wie Wissenschaftler anderer Institutionen und Konzerne ebenfalls - verständlich, weil anderenfalls immerhin arbeitslos.

Naiv wäre, wenn man sich unter einem Wissenschaftler oder jedem Nobelpreisträger sogleich einen Einstein vorstellte, denn die meisten sind kaum anders als Büroangstellte mit Stechuhr-Mentalität - und in den Erkenntnismethoden eher auf das Try&Error-Prinzip reduziert. - Das hängt u.a. mit der Berufungspraxis zusammen, dass sich Kofferträger/Gefällige mitunter leichter tun als echte Konkurrenten oder gar Geniale wie ein Manfred v. Ardenne, die oft quer in Fächer springen, mit anderem Blick für die Sackgassen. Und Leidenschaft.

Vorhin sah ich mir den verlinkten REUTERS-Artikel durch. Nun, das kann auch dem Laien nicht schwerfallen, zu erkennen, was da versucht wird, mit der Vokabel "konventionell" auf die Gentechnik unterzujubeln, was sich an sprachlichem Unfug schon in der Landwirtschaft bewährt hat, wenn dort die heutige industrielle Landwirtschaft als "konventionelle Landwirtschaft" bezeichnet wird.

Ihr seid alt genug, um zu wissen, was in unseren Kindertagen "konventionell" war, allenfalls mit ersten Melkmaschinen, allenfalls mit kräftigen Treckern im einzig relevanten Unterschied zu Jahrtausenden "konventioneller" Agrartechnik mit Mensch und Vierbeiner vor dem Pflug. - Das würde man heute "Bio" nennen.

Dass Greenpeace & Co. so bescheuert sind, sich überhaupt auf dieses Vokabular einzulassen, ist an intellektueller Kapitulation schon schlimm genug, aber will halt "neu" = "modern" sein, während sich die Lobbyisten der Gentechnik an gesellschaftlichen Bedenken vorbei mogeln wollen, indem sie so tun, als sei nichts neu zu entscheiden, weil nicht neu, während sie andererseits oft genug mit falschen Verheißungen prahlen, vor allem in ihren Börsenprospekten, wie "Wasser ist das Rohöl von morgen! RWE usw." . Stimmt, so wird es kommen. Schrieb ich ja oben schon: Auch Gentechnik kommt, dann die Substrate, weil wir nichts anderes mehr haben werden in Fortsetzung unseres heutigen Denkens.

Um am Schluss des Artikels erklärt ein "Evolutionsbiologe" vom Max-Planck-Institut Detlef Weigel wörtlich: "Pflanzen, die sich vom Ergebnis natürlicher Kreuzungen nicht ohne weiteres unterscheiden lassen, dürfen nicht als gentechnisch verändert gelten."

Vielleicht war er mal "Evolutionsbiologe", aber dann hätte ihm der Unterschied zwischen Evolution und Genmanipulation zu gelten. Der ganze Satz ein Quatsch, denn um "natürliche Kreuzungen" geht es ebenfalls nicht, sondern um die wahrhaft "konventionellen" Kreuzungsmethoden, die Jahrtausende tradiert wurden und werden und nun im Streit ist, wie die "gentechnischen" einzuschätzen sind, ob sie zu ungewünschter Artenverdrängung führen, fremde Felder gentechnisch kontaminieren, ob sie bloß mehr Abhängigkeiten fördern oder tatsächlich gut sind. Hochkomplexe Fragen mit vielen gegensätzlichen Studien.

@Richard, ich bin extrem modern. Auch in der Praxis. Und spreche mich immer für Forschung aus, aber dreierlei großer Unterschied muss sein, beschrieben als derjenige von Theorie von Praxis:

1. Schon das Experiment kann Risiken bergen, nicht nur wie bei den Atomwaffentests, sondern auch in unseren Hochsicherheitslabors.

2. Der deftige Unterschied zwischen Experiment und Großanwendung; so bewilligte ich Haushalte auch für das Hahn-Meitner-Institut, aber hätte es nicht für Biblis getan, wenn ich es entscheiden dürfen gegen die daran Interessierten. Und eigentlich entsprach schon der Berliner Forschungsreaktor keinen vertretbaren Sicherheitsstandards, aber viele Leute kapieren erst, wenn's schief läuft - und nicht mehr unter den Teppich kehren lässt. Jedenfalls gab es Meldungen, die mich auf frühere Entscheidungen nicht sonderlich proud machten.

3. Einige Technik sollten wir uns, sollte jeder sich erst dann zu befürworten trauen, wenn dafür auch politisch sichergestellt wäre, dass damit kein größter Unfug passiert, wie z.B. am 6. und 9.August 1945.
Wissenschaft ohne Verantwortung geht zwar, aber das geht nicht gut. Insofern auch etwas Werbung für Hans Jonas, dessen " Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation" meinerseits ein bisserl genmanipuliert etwa lautet: "Wenn Du die Folgen eines Könnens nicht kennst, dann verordne dem Können ein Moratorium, notfalls einen Verzicht."

Trotzdem wirklich egal, wer von uns beiden für oder gegen BASF, Monsanto oder Greenpeace in die Bütt steigt - es geht um viele, viele Arbeitsplätze (vor allem im Marketing), es geht um die Teilhabe am Weltmarkt, auch um meinen Wohlstand indirekt, aber es sollte als Parteipolitik oder persönliche Ansicht begriffen sein - und nicht als irgendwie "weltbürgerlich", denn wir sind sooooo weit von jeglicher Weltrepublik-Realität entfernt, dass wir uns in diesem Streben mit Parteipolitischem nicht vorwärts bringen.

Ganz liebe Grüße!
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diskutiert u.a. http://de.reuters.com/article/deutschlan...k-idDEKBN15T24N

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zuletzt bearbeitet 01.05.2017 05:11 | nach oben springen

#2

RE: Fortschrittsfeindlich und Fortschrittsnaivität als korrespondierende Röhren

in Sonstiges 01.05.2017 15:03
von Markus Rabanus • 10.092 Beiträge

Lieb von Dir, @Albero, aber nicht total nötig, denn mir kommt es wirklich viel mehr darauf an, dass weltrepublikanisches Thema gegenwärtig nur sein kann, wat weltrepublikanisch vorwärts bringt und nicht unnötig schon einbezieht, wat ooch ohne Weltrepublik strittig entscheidbar ist und hinreichend Besprechungsraum hat, während weltrepublikanisch derzeit fast keenen.

Und wenn wir solche Themen diskutieren möchten, dann oben mit solcher Unterscheidung, denn dann macht es Sinn - oder gleich hier unten ebenfalls mit solcher Unterscheidung. Das wäre sicherer.

Mit dem weltrepublikanischen Anliegen stehen wir vielen dar als Phantasten, was Antiintellektuellen ausschließlich negativ intoniert ist. Dem können wir nicht beikommen, indem wir uns Regelungswütigen oder Regelungsfeindlichen empfehlen.

Dem politischen Stigma der Unerreichbarkeitsmutmaßung kämen wir hingegen sehr viel logischer entgegnen, wenn wir klar stellten: Eine Weltrepublik ist nüscht anderes, nüscht Paradieserisches als jeder demokratische Rechtsstaat innenpolitisch an Zank um die richtige Politik umtreibt.

Der einzige, aber wichtige Unterschied ist, dass es auf diesem Planeten dann weltdemokratischer statt bloß nationaldemokratisch rivalisierend zugeht.
Und m.E. auch erstmals nicht nur visionär, sondern realistisch in der Menschheitsgeschichte, denn weltdemokratisches Weltkümmern ist und wird erst jetzt technisch möglich.
Was wiederum nicht ausschließen soll, dass selbstverständlich auch schon früher Weltrepublikanisches Sinn (Völkerbund) hätte machen können, nur halt weniger effektiv als heute.
Das mal genauer abzuhandeln, will ich schon seit langem, kommt auch noch.

Im Moment kann es allerdings wichtiger sein, sich mit den vorherrschenden und im Streit befindlichen Weltmodellen auseinanderzusetzen, z.B. dem außenpolitischen Multilateralismus der EU, den "Multipolaritätsmodell" Moskaus und Pekings, dem "Pax Americana" Washingtons und der Nato, den "vorparadieschen Gottesstaatem" und den nationalistischen Reflexen.
Alles davon mit aufrichtigem Für und Wider.

Hochkomplex, aber erforderlich, es auf knappe Formeln zu bringen, denn erst dann halte ich es für verstanden, wenngleich ich "e=mc2" nie tief und wirklich kapieren werde, aber der Alltag vieler Menschen kam und kommt zuweilen immerhin auch mit Vorstellungen von Erdscheibe aus. Dann halt ohne Sat-Privatsender. Ich kanns aushalten - und Bibel-TV wäre back to the roots wieder als Wanderprediger, Fische und Brot vermehren/verteilen, wäre sogar produktiv ;-)

LG


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#3

Etikettenschwindel "konventionelle Landwirtschaft"

in Sonstiges 21.02.2019 04:02
von Markus Rabanus • 10.092 Beiträge

"Konventionelle Landwirtschaft" ist Etikettenschwindel, denn "konventionell" wäre kreislaufwirtschaftlich, während es in Wahrheit "industrielle Landwirtschaft" bzw. "chemieindustrielle Landwirtschaft" heißen müsste.
In der "konventionellen Tierhaltung" hatten auch die Kühe noch Namen ;-) und kamen täglich auf die Weiden. Heute ist "Massentierhaltungsindustrie".


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zuletzt bearbeitet 21.02.2019 04:06 | nach oben springen


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